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SPIELART 2011 18.11. – 4.12.
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BLOG

Miriam Althammer | 05.12.2011

Festival is over

Tilmann Broszat, Leiter des Festivals:„Spielart ist so jung wie nie, das konn... mehr

 

Miriam Althammer | 04.12.2011

Laboratorische Gemeinschaften

Fast drei Wochen lang war DO TANK das Labor des Festivals. Internationale Kü... mehr

 

Miriam Althammer | 02.12.2011

You take what you want from Theatre

If you need to deconstruct something to the point of kitty litter then please... mehr

 

 

EDITORIAL

Irgendwas ist anders: Selten, so unser Gefühl, ist die Welt zwischen zwei SPIELART Festivals so radikal durcheinander gewirbelt worden. Waren wir bei SPIELART 2009 unvermutet in der Diskussion um die Wirtschaftskrise, haben uns mittlerweile die Ölkatastrophe  im Golf von Mexiko, der Aufstand in der arabischen Welt und Fukushima in Atem gehalten. Als ob die Krisensituationen einen Vorhang geöffnet hätten, finden Theatermacher ihre Stoffe wieder in der Umgebung und werfen einen neuen Blick auf ihre Welt: auf das Zeitgefühl der jungen Generation in Japan, auf die Möglichkeiten von Revolte in Griechenland, auf Bollywood in Indien, auf Paramilitärs und Karneval in Kolumbien. Es geht um die Zukunft belgischer Kinder und um die Altenpflege deutscher und italienischer Väter, um enttarnte Spitzel in Polen, die Wohnsituation in Istanbul, Holzfäller in Finnland und Missionare im Kongo. Und doch ziehen sich wie ein roter Faden Gemeinsamkeiten durch all diese Themen: Verunsicherung und Sinnsuche, konkrete Lebensperspektiven, aber auch ästhetische Überhöhungen, Spielfreude, Kostümierungslust, Gesangskünste und Prophezeiungen.

 

Drei Spezialprogramme sondieren die nähere Zukunft: an den drei Sonntagen des Festivals gehen Künstler und Wissenschaftler im Stundentakt des Think Tank SOCIAL FICTIONS Fragen unseres sozialen und politischen Handlungspielraums nach. Im DO TANK entwickeln Münchner und auswärtige Künstler das ganze Festival über praktische Antworten auf eben diese Fragen und im ‚Festival im Festival’ CONNECT CONNECT stellen wir in vier Uraufführungen neue Inszenierungen vor, die je zwei junge Künstler gemeinsam erarbeitet haben.

 

Ein SPIELART Festival ist mehr als die Aneinanderreihung von Stücken. Es ist ein Gewebe aus Theater und Diskurs, Konzert und Party, eine Versuchsstation für neue Formen, ein Forum für aktuelle Entwicklungen, für Kontroversen. Lassen Sie sich verführen. Feiern Sie mit uns ein Fest – an 17 Tagen und Nächten!

Wir freuen uns auf Sie!

 

Tilmann Broszat, Gottfried Hattinger

 


Eröffnungsschwerpunkt Japan

Die beiden japanischen Regisseure Toshiki Okada und Daisuke Miura stellen in ihren Arbeiten zu Beginn des Festivals zwei Zeitgeistmodelle der jüngeren Generation aus Tokio vor: Hier erfolgreiche Enddreissiger, die sich die Frage nach den Möglichkeiten des (alltäglichen) Glücks stellen, dort lethargische Endzwanziger, die nur noch ihr pures Dasein manifestieren. Beiden Produktionen gemeinsam ist eine große innere Leere, unter der die Protagonisten bei Okada noch leiden, vor der die Figuren bei Miura bereits resigniert haben. Reaktion der immer noch geschlossenen Gesellschaft Japans auf die Globalisierung, oder Vorbote einer Entwicklung, die auch Europa erreichen wird?

Soziale Fiktionen

Neu scheint zu sein, dass Theatermacher politisch relevante Themen wieder in ihrer eigenen unmittelbaren Umgebung suchen und auch finden - als hätte man den oft zitierten Ratschlag des französischen Aktivisten Stéphane Hessel „Seht Euch um, dann werdet Ihr die Themen finden, für die Empörung sich lohnt!“ beherzigt. Die italienische Gruppe MOTUS beschäftigt sich in Auseinandersetzung mit dem Mythos der Antigone und den Ausschreitungen nach dem Tod eines jugendlichen Demonstranten in Athen 2008 mit den Möglichkeiten von Revolte heute.

Romeo Castellucci
zeigt bildgewaltig die komplexe Beziehung eines dementen alten Mannes zu seinem Sohn, der ihn mit Engelsgeduld pflegt. Raven Ruëll und David Van Reybrouck zeigen einen belgischen Missionar im Kongo, der - gefangen zwischen dem Versuch, einen Völkermord in Worte zu fassen, und seiner Krise mit der heimischen Zivilisation - die Fahne seines Auftrags hochzuhalten versucht.

In zwei wegweisenden und europaweit gefeierten Inszenierungen befragen GOB SQUAD eine Gruppe von Kindern, wie diese sich ihre Zukunft vorstellen, während die Akteurinnen der Gruppe She She Pop mit ihren leibhaftig auf der Bühne stehenden Vätern den Generationenvertrag neu verhandeln. Auch in anderen Festivalbeiträgen ist die kleinste soziale Einheit, die Familie, Thema: Zachary Oberzan aus New York dokumentiert seinen Lebensweg und den seines älteren Bruders, die unterschiedlicher nicht sein könnten, um zu  hinterfragen, inwieweit diese vorherbestimmt sind. Wojtek Ziemilski aus Warschau verknüpft die Geschichte seines als Mitglied des kommunistischen Geheimdienstes enttarnten Großvaters mit aktuellen Performance-Diskursen.

„social fictions“ heißt dann auch eine Diskurs- und Performance-Reihe, in der sich an drei Sonntagen international renommierte Künstler und Wissenschaftler mit der Frage der Krise des Expertentums, mit alternativen Theorieansätzen, persönlichen Visionen und Modellen möglicher kultureller und sozialer Praxis auseinandersetzen.

Formensprache

In einer Vielzahl der gezeigten Projekte spielen dokumentarische Ansätze in vielfältigster Form eine große Rolle. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Künstler, oft auch in Kombination mit dokumentarischem Material, einem neuerlichen Bedürfnis nach Formung, ästhetischer Überhöhung, wenn nicht gar Verzauberung folgen. Okadas und Miuras präzis erarbeitete Bewegungssprache ist stark choreografisch geprägt. Gisèle Viennes verstörende Produktion This is how you will disappear kann man, in der Zusammenarbeit gleichstarker Künstler, in die Tradition der Gesamtkunstwerke stellen. Mehrfach greifen Gruppen auf den Kanon der Kulturgeschichte zurück, um etwas über unsere heutige Zeit zu erzählen – seien es Theatertexte, wie She She Pop mit „Lear“, die italienische Gruppe Motus mit „Antigone“ oder Nicole Beutlers Auszüge aus Monologen tragischer Frauenfiguren. Castellucci siedelt seine Inszenierung vor einem Renaissance-Christusbild an.

Neue Talente: CONNECT CONNECT
Mit zwei internationalen Netzwerkprogrammen gibt SPIELART jungen Künstlern und Programm-Machern die Möglichkeit, vor großem Publikum zu experimentieren: Mit Hilfe international bekannter Theater-Mentoren, wie René Pollesch (Berlin), Alain Platel (Gent), Phillpe Quesne (Paris) und Ong Ken Seng (Singapur)  werden bei SPIELART vier Uraufführungen  in einem Festival im Festival unter dem Titel CONNECT CONNECT gezeigt. Außerdem hat SPIELART das Programm FestivalLAB initiiert, bei dem zwanzig zukünftigen Festivalmacher dieses Jahr zu Workshops bei acht europäischen Festivals eingeladen sind. Eine Aspirantin aus diesem Kreis wurde zudem ausgewählt, das Künstleratelier DO TANK zu kuratieren, das das ganze Festival begleiten und laufend Neues produzieren wird.